JUDITH SAUPPER

Meine Nachbarschaft

Nina Dunkmann, 2012

Haben Sie sich schon mal gefragt, was Ihr Nachbar so treibt? Judith Saupper kommt dieser Frage höchst ironisch entgegen. Die ca. 170 cm hohe Holzstele zeigt im oberen Drittel drei Etagen eines Mietsreihenhauses. Auch hier ist der Blick durchs Schlüsselloch erlaubt und sogar erheblich erleichtert, da zwei Wände am Gebäude fehlen. Die Wiener Künstlerin ist gelernte Szenenbildnerin. Dies spiegelt sich auch in ihren Installationen. Nähert man sich Meine Nachbarschaft, drängt sich sofort das Gefühl eines Tatorts auf. Irgendetwas ist hier im Gange … Saupper geht es um das Aufzeigen von Grundängsten. Noch wiegen wir uns in Sicherheit, weil wir ja die Beobachter sind, wir schauen durch fremde Fenster und nicht umgekehrt. Die Verkleinerung erlaubt dem Betrachter einen viel größeren Überblick, so erkennt er Bezüge und Zusammenhänge. Zum Beispiel, dass es sich um drei gleiche Wohnungen mit demselben Grundriss handelt, in denen jedoch höchst unterschiedliche Menschen wohnen. Verblüfft stellt man fest, wie verschieden die gleiche Wohnung durch menschlichen Einfluss sein kann. Die Bewohner sind bei Judith Saupper nie zu Hause, der Betrachter kann sich also ungeniert umsehen. Im Erdgeschoss wartet direkt der erste Schock: Da wohnt der Bombenbauer. Er hat sich nicht auf Dauer eingerichtet, mit Holzböcken aufgestellte Arbeitsplatten dienen als Tische. Überall liegen Utensilien herum, es wird eifrig gebastelt, genauer gesagt, Drähte verkabelt. In der Zimmerecke gibt es ein Matratzenlager und darüber den Traum von einer besseren Welt: eine Fototapete mit Palme, Strand, Meer und einsamem Bötchen. „Das physische Eintauchen in die Welten erzeugt Judith Saupper durch Authentizität, die proportional zu ihrer Verkleinerung an Skurrilität gewinnt.“1 Über dem Bombenbauer wohnt der Verschwörungstheoretiker. Hier passiert alles eher im Kopf. Er lebt karg eingerichtet, die Wände sind dafür dicht behängt mit Plänen und Fotos, wie man es aus dem abendlichen Krimi kennt, Bündel von Zeitungen stapeln sich auf dem Boden. Dieser Mensch ist auf Isolation und Unabhängigkeit eingestellt. Auf dem Zwischenboden lagern immense Vorräte, die es unnötig machen, das Haus zu verlassen. Der Leser über den beiden hingegen hat schweres Gepäck. Die Regale und Schränke biegen sich und bieten trotzdem nicht mehr genug Platz. Bücher stapeln sich auf dem Boden, und auf dem Sofa sitzt man wohl in der ständigen Angst, unter Büchern begraben zu werden. Ob der Leser überhaupt noch mitbekommt, was unter ihm so vorgeht? Oder ist es vielleicht erst die angeregte, leicht paranoide Fantasie des Lesers, die aus dem Herrn im ersten Stock einen Bombenbauer macht? Da steht die Auseinandersetzung mit unseren Grundängsten neben dem Erlebnis von Angstlust, die auch immer Neugierde und Lust zur Erkundung der Welt ist. „Für viele Menschen bleibt etwas von diesem Unheimlichen im Wohlbekannten erhalten; sie fühlen es beim Gang in den Keller oder beim nächtlichen Betreten der Wohnung.“2 Wir lieben es also, solche Geschichten zu spinnen über „die von nebenan“. Wirklich schockiert ist man nur dann, wenn wirklich mal etwas passiert. Und auch diese Schlagzeilenkultur à la: „Wir hatten ja keine Ahnung…“ schließt Saupper durchaus in ihre nachdenklich machenden Skulpturen ein.

 

1 Theresia Hauenfels, En gros – en détail, Portfolio Judith Saupper, 2011

2 Herlinde Koelbl (Fotografie) Manfred Sack (Text), Das deutsche Wohnzimmer, München 2000, S. 142