JUDITH SAUPPER

geworden sein werden. Über die ZEITGEFÜGE von Judith Saupper

Astrid Kury, 2017

Zeit und Raum, sozusagen Luft und Wasser unserer Existenz, bringt Judith Saupper als unterschiedliche Geschwindigkeiten von Transformationen in den Blick. Da ist zum einen die Serie Strahler, in der Kristalle, als Speicher von Vergangenheit, mit kosmischen Zeithorizonten schwebend in Verbindung gebracht werden. Und zum anderen die Zeitraffersternbilder, in denen Sternenzeit die kontrastierende Folie urbaner Transformationsprozesse bildet – womit die Reflexion über Zeit auch ins Jetzt gebracht ist. Judith Sauppers Blick ist einer aus der Zukunft auf die Gegenwart als bereits Vergangenes, mitunter dystopisch, aber durchwegs in der Hoffnung, dass es anders kommt. Für die Lichtungen hat Ferdinand Schmatz Judith Sauppers Raum- und Zeit-Collagen lyrisch umschrieben.

Was ist Zeit, was Raum? Gibt es Zeit außerhalb der menschlichen Erfahrung? Wie ist der Raum beschaffen, wenn er nicht von mir erfahren wird? Wie kann man Zeit bildlich darstellen? Für diese Fragen bedient sich die Künstlerin der Collage, sowohl als Heuristik als auch als künstlerische Form, und dies nicht nur zweidimensional auf Papier, sondern auch als Modelle von Hochhäusern und Nicht-Orten, als collagierte Raum-Objekte und ganze Rauminstallationen. Modelle sind Nachbildungen von Realitäten und dafür braucht es eine ausformulierte Vorstellung von Realität, die über die Fertigung von Modellen eben gerade zur Sichtbarkeit gebracht wird. Die Collage wiederum ist eine experimentelle Verknüpfungsstrategie, um der Unübersichtlichkeit und Brüchigkeit der Moderne zu begegnen; aber auch als Technik der Grenzverwischung ist sie ein wesentliches Gestaltungsmittel der Kunst des 20. und 21. Jahrhunderts. Das Verschieben, Überblenden und Verkleben von dem, was zuerst einmal nicht zusammengehört, kann unbekannte Beziehungen offen legen. Ebenso scheint Wahrnehmung wie eine Collage zu funktionieren: ein inkohärentes Splitterwerk von Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft, zu immer neuen Sinnstrukturen arrangiert. In ihren Zeit- und Raum-Collagen fügt Judith Saupper, wie sie selbst sagt, Momente zusammen als ‚Hirngespinnste der Erinnerung, gefaltet, zu neuen Geschichten formiert; an Spinnfäden der Vergangenheit‘ (zum Projekt Faltgedichte / Faltgeschichte). Über die multifokussierte Rückkopplung des Realen in Form vorgefundener Bildsegmente und mittels ihrer zeichnerischen Imitation oder Verfremdung treibt die Künsterlin das Collageprinzip über mehrere Ebenen hinaus, bis hin zu einem komplex komponierten Gefüge von Momenten und Zeiten, das eine räumliche Lesbarkeit nur mehr suggeriert. Gleichzeitig wird in den Zeitraffersternbildern der Zeithorizont des ‚aeterno modo‘ zur Verfasstheit der Gegenwart gesetzt, durchaus auch angesichts sich ankündigender Katastrophen. Mit diesem Hintergrung blickt man auf die menschenfreien und vielfach bodenlosen Stadtansichten als Gewesenes, und vielleicht hilft uns das gerade, denn im Rückblick weiß man immerhin alles besser.