JUDITH SAUPPER

Sorgfältige Zukunftsplanung

Silvie Aigner, 2013

Architektonische Objekte und Collagen, Fotografie und Zeichnung sind jene Medien, die Judith Saupper verwendet, um mit subtiler Ironie kritisch die Entwicklung des Urbanen in unserem gegenwärtigen Umfeld zu hinterfragen und aufzuzeigen. Dabei sind ihre utopischen Häuser und die sich ins Hinterland ausdehnenden Hochbauten auch ein Blick in eine mögliche zukünftige – nicht positive oder nachhaltige – Stadtentwicklung.

Doch nicht immer geht es um Urbanismus im Allgemeinen, oft steht auch die Geschichte des Einzelnen im Blickpunkt der Künstlerin. Ohne jedoch ihre Protagonisten darzustellen,

arbeitet Judith Saupper mit dem Spiel zwischen Schein und Fiktion und den vielfältigen Möglichkeiten der Realität und blickt damit hinter die Kulisse des Offensichtlichen und Bekannten. In diesem Zusammenhang stehen auch die Griechischen Collagen sowie die Objektserie P.´s 20 Jahre, in denen die Künstlerin den Homer´schen Irrfahrten des Odysseus eine neue Variante hinzufügt und sich auch die Frage stellt, was Penelope wohl in Abwesenheit ihres Gatten gemacht hat. Bereits in diesen frühen Arbeiten spielte die Lust am Narrativen eine große Rolle; im Sinne von Elias Canetti, der zu diesem Thema meinte: „Ich machte mir kein Gewissen daraus, diese Geschichte zu erfinden, ich empfand sie nicht als Lüge im ordinären Sinn des Wortes, Odysseus, der mein Vorbild immer geblieben war, half mir über das Peinliche der Situation hinweg. Was man gut erfand, war eine Geschichte, keine Lüge“,1 geht es der Künstlerin darum, die Geschichte zu verdrehen – oder eigentlich eine neue zu erfinden – und das, wie Canetti meint, durchaus im Sinne eines „guten, wohltätigen Zweckes“. „Was“, so Judith Saupper, „wäre, wenn die

Zurückgebliebenen weniger interessiert an Hof und Industrie des Landes Ithaka sind, sondern mehr an ihrem eigenen Leben? Wenn die Treue Odysseus gegenüber in all den Jahren des Wartens nachgelassen hat? Wenn man den Nebenfiguren mehr Aufmerksamkeit schenken würde? Schläft Penelope noch in diesem Bett, nachdem Odysseus in den Krieg gezogen ist? Was passiert mit den Jugendlichen, die für sich auf dieser Insel keine Zukunft sehen, und was sind die Folgen des langen Krieges, der auch an Ithaka nicht spurlos vorübergegangen ist?“2 In einer Serie von Fotocollagen verbindet die Künstlerin Reales mit Fiktion und verortet das Ithaka des Odysseus in der Jetztzeit. So wird die Metropole Athen zu einem Ithaka der Zukunft, die Idylle der Landschaft jäh durch Sperrmüll verstellt, und das Freizeitzentrum aus dem Jahr 2006 wirkt wie Vorwegnahme der jetzigen Wirtschaftskrise in Griechenland. Titel und beigestellte Texte sind Bestandteil des Werkes. Nicht als ausschließlich typografische Elemente, vielmehr eröffnen sie neue Bedeutungsebenen und bieten eine Art Hilfestellung für die Lesbarkeit der Arbeit. Die Texte selbst sind oft Fundstücke aus der Literatur sowie Zitate aus dem Alltag, die Judith Saupper in ihren Notiz- und Skizzenbüchern sammelt und später gekonnt zu den jeweiligen Bildern collagiert und diesen damit auch eine ironische und humorvolle Bedeutung gibt. In der Odyssee wird Penelope als der Inbegriff der treuen Ehefrau dargestellt, als eine Frau, die bekannt ist für ihre Klugheit und Beständigkeit und die die vielen Freier zurückweist, die ihren Palast umschwärmen. Judith Saupper fragt in ihrer Objektserie P.´s 20 Jahre allerdings, was wäre, wenn Penelope den Lockungen ihrer Freier unterliegen und aus der misslichen Situation ihren eigenen Vorteil ziehen würde. Penelope hält Odysseus zum Narren, wie auch er seine Umgebung zum Narren hält. Oder wie Judith Saupper Penelope in einem Objekttext sagen lässt: „Wir werden uns schon zu amüsieren wissen – so es die Götter wollen!“ Was hat Penelope also während Odysseus’ Abwesenheit tatsächlich getrieben? Die Objekte der Künstlerin zeigen uns mögliche Stationen in Penelopes Leben, ergänzt durch einen gedanklichen Dialog zwischen Penelope und Odysseus: ein Hotel für Stunden, ein Hallenbad außerhalb der Öffnungszeiten bis hin zu einem Friseursalon eines Freiers. Und alles nur, weil sich die wartende Gattin fragen muss: „In welchen Ländern lebst du, wo trödelst du denn herum?“3

Judith Saupper, 1975 in Feldkirch geboren, studierte Bühnen- und Filmgestaltung an der Universität für angewandte Kunst in Wien. Ihr Bauen und Entwickeln von Räumen, als Schauplätze einer möglichen Geschichte, begann bereits im Studium und setzte sich über die Fotocollagen hinaus in Objekten wie Lug & Trug fort. „Die Collagen sehe ich inhaltlich wie auch zum Teil formal ähnlich zu meinen Objekten. Allerdings ermöglichen sie eine besondere Art der Verschiebung und der Ineinanderfügung von mehreren Ebenen.“4 In ihren Arbeiten, die an der Schnittstelle von Malerei, Skulptur, Objekt und architektonischem Modell angesiedelt sind, formuliert die Künstlerin einen beeindruckenden interdisziplinären und medienübergreifenden Denkansatz. In ihren Objekten bezieht sich Judith Saupper stets auch auf bestehende Architekturen, doch liegt ihr nie daran, die Gebäude tatsächlich geografisch zu verorten, vielmehr sind sie ein „Spiel mit Scheinarchitektur und Illusion“5 und eine kritische Auseinandersetzung mit gesellschaftlichen und sozialen Gegebenheiten. Mittels narrativer Details und mit großer Sensibilität entwirft die Künstlerin ihre Modelle, die eine Vielzahl von subjektiven Assoziationen und Emotionen zusammenfassen. Häufig ermöglichen die Objekte auch Einsichten in private Räume, deren Protagonisten Spuren hinterlassen haben, jedoch stets abwesend sind. Ähnlich wie die Fotocollagen täuschen auch die Fassaden der Häuser. Lug & Trug ist eine Wohnanlage, aus der die Bewohner längst ausgezogen sind. Die Spuren, die sie hinterlassen haben, werden von Judith Saupper mittels kleiner Gegenstände dargestellt. Die Räume werden zur Metapher eines fiktiven menschlichen Alltags. Das Teilhaben an anderen Identitäten wird dabei zuweilen zur Auseinandersetzung mit der eigenen Wahrnehmung. In vielen Objekten, Zeichnungen und Fotoarbeiten ist der utopische Charakter der Architektur stärker herausgearbeitet, der das Anwachsen der Satellitenstädte und ihre Ausdehnung in die Naturlandschaften rund um die Großstädte thematisiert. Isoliert aus dem urbanen Zusammenhang wirken die Hochhäuser seltsam deplatziert und wie Eindringlinge aus einer anderen Welt. Auf die Häuser folgen Straßenzüge und Autobahnen, die zusätzlich die Landschaften zerstören und verändern. Die oft auf Stelzen platzierte Architektur steht für den Drang ihrer Bewohner nach Freiheit und Individualität. Um sich von der Masse der anderen Häuser abzuheben, werden buchstäblich „Schlösser in die Luft gebaut“6. Doch selbst dort, wo, wie in der Fotoserie Vororte, die Häuser einen singulären Stil verkörpern und man nun vermeintlich einen besonderen Platz im urbanen Raum ergattert zu haben glaubt, funktioniert diese Schweinwelt nicht. Auch hier sind Sauppers Häuserutopien sensible Beobachtungen gesellschaftlicher Tendenzen und Grundängste. Sie demonstrieren unter anderem das Bedürfnis nach Sicherheit oder stehen für die Angst vor dem Anderen, dem Fremden und dem Verlust der eigenen Individualität und der Einsamkeit in der Großstadt. Diesen möchte man mit einer singulären Architektur auf Stelzen, die auch eine Art Schutzfunktion hat, entgegentreten. Die Hausobjekte reichen von einem romantischen

Baumhaus über einen Betonwürfel bis hin zu einem Haus aus Latex, das ganz im Sinne des Endless House von Friedrich Kiesler – das dieser als Einfamilienhaus für den Museumsgarten des MOMA entwarf – nach allen Seiten hin theoretisch dehnbar und damit erweiterbar wäre. Ein Mensch – ein Raum – eine Zentralverriegelung! (P. Sloterdijk)

Doch in der Realität dominiert die Gleichförmigkeit der Einfamilienhäuser, die den Stadtrand prägen. Oh, Sweet Suburbia … ist ein Objekt, das sich dieser Häuser entledigen möchte. Nähert man sich diesem, so schüttelt es sich wie ein Lebewesen und versucht die Parasiten – sprich die Einfamilienhäuser – abzuschütteln und die langweilige Gleichförmigkeit loszuwerden. Die Wohnhausanlage übernimmt Eigenverantwortung und will nicht mehr länger den Rahmen bilden für Gartenzaunkriege, Xenophobie, Kastendenken und Thujenhecken. Ähnlich wie in den Häusern auf Stelzen formuliert sich auch hier der Gedanke der Künstlerin, dass der Mensch sich einen Kokon schafft, um mit der Außenwelt nicht in Berührung zu kommen. „In den sich beinahe aufs Haar gleichenden Häusern schottet sich der Mensch scheinbar individuell ab: Wohl ist die Wohnzimmereinrichtung nahezu gleich wie die des Nachbarn, doch keiner weiß es. – Man lässt ihn ja nicht hinein!“7 In ihren großformatigen Collagen auf Tyvek, einem Vliesstoff, der auch als „Drachenfolie“ bezeichnet wird, zeigt die Künstlerin weitläufige Landschaften, um einen größeren Zusammenhang darzustellen – ein Blickwinkel auf die menschenleere Architektur, der dem Einzelnen normalerweise verwehrt bleibt und ähnlich wie ihre Zeichenserie Hinterland unmissverständlich aufzeigt, mit welcher „Brachialgewalt die Landschaft besiedelt wird“.8 Die Suche nach einer individuellen Bleibe führt, wie im Objekt Informell, dazu, sich an sogenannten „Nicht-Orten“ wie Autobahnpfeilern anzusiedeln. Dennoch bleibt unser Idealbild von dem, was wir als „Zuhause“ bezeichnen, aufrecht – das Haus mit Garten im Grünen mit einem wunderschönen, Schattens pendenden Baum vor der Haustüre. Nur – unser modernes, von zunehmender Mobilität geprägtes Leben lässt diese Idylle nicht mehr zu. Mit dem Objekt Heimaten schuf Judith Saupper Abhilfe und entwickelte ein mobiles Haus mit Baum zum Mitnehmen Unsere Umgebung beeinflusst unser Tun – so die These, die Judith Saupper in der Installation Untergrabungen (Lösungsvorschläge oder notwendige Umbauarbeiten) umsetzt. Diese setzt sich mit der Wechselwirkung zwischen der Art, wie wir leben und wohnen, unserem Empfinden und dem, was wir tun, auseinander – auch als Reaktion auf die aktuelle politische Situation und konkret mit Verweis auf die Adressen der agierenden Entscheidungsträger. Die Arbeit ist auch im Sinne des „Essay on the Modern Unhomely, The Architectural Uncanny“ von Anthony Vidler zu lesen. Doch folgt man der These, dass eine schöne Umgebung sich auch positiv auf das Tun auswirke, stellt sich die Frage: Wie muss man bauen, um ein kreatives Umfeld zu gestalten? Die vorliegende Publikation erscheint anlässlich der Einzelausstellung von Judith Saupper in der Buchreihe der bäckerstrasse4 – plattform für junge kunst und zeigt einen Überblick des bisherigen Schaffens der Künstlerin. Dass dieses stets in einer Reflexion der realen Lebenswelt entsteht, dokumentiert auch die Ausstellung selbst. Unter dem Titel Sorgfältige Zukunftsplanung beschäftigt sich diese mit den „Problemen“ einer gegenwärtigen Lebensplanung. In der momentanen Zeit wird von jedem Menschen verlangt, dass er einen „Karriereplan“ verfolgt. Ob‘s nun der richtige Kindergarten, das richtige Parteibuch, die „lebenslauffähige“ Freizeitgestaltung, die richtigen Seilschaften und Netzwerke sind oder die attraktive Darstellung in einem sozialen

Netzwerk: Nichts wird dem Zufall überlassen. „Dabei werden die gängigen ›Verhaltensregeln‹ kaum hinterfragt, und es entstehen, durch das übertriebene Bemühen, einen ›einzigartigen, unverwechselbaren‹ Menschen darzustellen, sich fast bis aufs Haar gleichende Lebensentwürfe“, so die Künstlerin. 9 Das Objekt Sorgfältige Zukunftsplanung zeigt den vermeintlich perfekten (Lebens-)Plan auf und die möglichen Zusammenhänge, die für das Gelingen oder Scheitern eines Lebensprojektes verantwortlich sind. Die Quintessenz dieser Zukunftsplanung zeigt die Fassadengestaltung von Judith Saupper für die bäckerstrasse4 – plattform für junge kunst mit dem Titel Checklist: Zukunftsplanung. Hier – im öffentlichen Raum der Bäckerstraße – wird der vereinfachte Plan sichtbar, der als Art Liste mit den Schlagworten „Die Welt zu eigen machen“, „Ichimmunität“, „Leben simulieren“, „Alles ist exakt so wie es scheint“ Hilfestellung geben soll. Doch wie um diesen vermeintlichen „Fahrplan des Lebens“ zu durchbrechen, führt die Fotoserie Überprüfung von Realitäten vor, wie schnell dieser Plan auch scheitern kann. Es braucht nur einen Schritt zur Seite, um die Dinge des Lebens aus einem anderen Blickwinkel zu sehen, oder es ändern sich nur ein paar Rahmenbedingungen, und schon muss der angedachte Lebensentwurf angepasst oder aufgegeben werden. Doch es gab immerhin eine Idee und eine Vision: Es hätte alles so schön werden können, so der Titel für eine Installation. Wenn – ja, wenn.

1 Elias Canetti, Die Fackel im Ohr, Frankfurt a.M. 1980, S. 133

2 Judith Saupper, Portfolio, Archiv der Künstlerin

3 Judith Saupper, Texte zur Objektserie P.´s 20 Jahre

4 Interview mit Judith Saupper, April 2013

5 Ebenda

6 Ebenda

7 Judith Saupper, Porfolio, Archiv der Künstlerin

8 Interview mit Judith Saupper, April 2013

9 Judith Saupper, Ausstellungskonzept, bäckerstrasse4 – plattform für junge kunst, April 2013